Franziska Spiegel: Mordopfer

von Norbert Sahrhage


Franziska Spiegel
Franziska Spiegel

Franziska Spiegel, geb. Goldschmidt, wurde am 6. Mai 1905 in Werl, Krs. Soest, geboren, wo ihre Eltern eine Metzgerei betrieben. Im Jahre 1928 heiratete sie den aus Siegen stammenden Gottfried Spiegel; 1930 wurde Sohn Rolf geboren. Das Ehepaar lebte zunächst in Schleswig-Holstein, wo Gottfried Spiegel auf einem Gut arbeitete. Schon vor 1933 war die Familie Spiegel vielfältigen rassistisch motivierten Schikanen ausgesetzt, die sich nach der nationalsozialistischen »Machtergreifung« verstärkten. Seit dem Jahre 1939 musste Franziska Spiegel den zusätzlichen Vornamen Sara tragen, der sie in der Öffentlichkeit sofort als Jüdin kenntlich machen sollte.

Gottfried Spiegel, dessen Eltern inzwischen in der Stadt Bünde wohnten, war im April des Jahres 1943 mit seiner Frau und dem Sohn Rolf nach Werfen gezogen. Die Familie Spiegel hoffte, in der Abgeschiedenheit der ländlichen Gemeinde Werfen die Zeit der Verfolgung überstehen zu können. Die Deportation der Juden aus dem Bünder Raum war zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen. Auch an ihrem neuen Wohnort stand die Familie unter der Aufsicht der Gestapo. Im September 1944 wurden Franziska Spiegel und ihr 14jähriger Sohn Rolf, der als Mischling 1. Grades galt, von der Gestapo nach Bielefeld gebracht, offenbar um in ein KZ deportiert zu werden. Da der Transport aber bereits abgegangen war, wurden beide bald darauf wieder nach Werfen entlassen.

Im Oktober 1944 waren größere Einheiten der »SS-Division Leibstandarte Adolf Hitler« zur Auffrischung in die Landkreise Lübbecke und Herford verlegt worden, Teile davon auch in den Bünder Raum. Die Panzer-Division hatte noch im Juli 1944 in Frankreich gegen die vordringenden Amerikaner gekämpft und schwere Verluste erlitten. Der »SS-Division Leibstandarte Adolf Hitler«, abgekürzt LSSAH, gehörten u.a. der bekannte Kabarettist Klaus Havenstein, der Journalist Theo M. Loch, der Sachbuchautor Wolfgang Venohr sowie der Politiker und Mitbegründer der Partei der »Republikaner«, Franz Schönhuber, an. Nach der Auffrischung der Division in Ostwestfalen wurde sie Mitte November wieder nach Westen verlegt, wo sie im Dezember an der Ardennen-Offensive teilnahm.

In Hunnebrock stationierte SS-Männer waren offenbar von einem NSDAP-Parteifunktionär auf Franziska Spiegel aufmerksam gemacht worden. Am Nachmittag des 4. November 1944 erschienen daraufhin drei SS-Männer in der Wohnung der Spiegels; zwei von ihnen zwangen Franziska Spiegel, die zu diesem Zeitpunkt allein in ihrer Wohnung war, in das nahe Hückerholz mitzukommen, das auf der Grenze zwischen den beiden Gemeinden Werfen (Amt Ennigloh) und Hücker-Aschen (Amt Spenge) liegt. Hier wurde Franziska Spiegel von ihnen durch einen Schuss in den Hals ermordet. Der als Vertreter der zuständigen Ortspolizeibehörde zum Tatort gerufene Spenger Amtsbürgermeister Frentrup erstattete der Staatspolizeistelle Bielefeld am 5. November 1944 folgenden Bericht: „Am Sonnabend, dem 4.11.1944 gegen 18 Uhr wurde ich vom Landrat des Kreises Herford, der zufällig dienstlich in Hücker-Aschen weilte, fernmündlich benachrichtigt, dass von 2 jungen Leuten im Hückerholz eine Frauensperson tot aufgefunden sei. Die jungen Leute hätten festgestellt, dass der Körper noch warm sei. Ich begab mich sofort mit dem Krankenwagen, einem Arzt und 2 Polizeibeamten an Ort und Stelle. Dort lag auf einem Waldwege eine Frauensperson vollständig angekleidet auf dem Gesicht. Bei der inzwischen eingetretenen Dunkelheit konnte eine genaue Untersuchung des Tatortes nicht vorgenommen werden, ich stellte aber fest, dass der Tod bereits eingetreten war und auf dem Rücken der beiliegende Zettel mit der Aufschrift: ‚Sie war eine Jüdin‘, angebracht war.“

Amtsbürgermeister Frentrup ließ die Tote zunächst in das Spenger St. Martins-Stift bringen, von wo aus sie zur Obduktion weiter nach Bielefeld transportiert wurde. Als die Leiche nach mehreren Tagen freigegeben wurde, fand sich keine der umliegenden Gemeinden bereit, die Ermordete auf ihrem Friedhof zu bestatten. Gottfried Spiegel beerdigte seine Frau mit Hilfe von Nachbarn heimlich im Paradies, einem Flurstück zwischen den Gemeinden Werfen und Ahle. Erst nach dem Ende des Krieges konnte der Leichnam exhumiert und auf einem Friedhof in Minden ordentlich bestattet werden.

Das nach Kriegsende wegen des Mordes aufgenommene Ermittlungsverfahren wurde schließlich im Jahre 1949 von der Bielefelder Staatsanwaltschaft ohne Ergebnis eingestellt. Die Staatsanwaltschaft hatte mit der oberflächlichen Tätersuche ihre Pflicht erfüllt – ohne den Tätern und Anstiftern zu nahe zu kommen.

Quellen/Literatur:

Norbert Sahrhage, Bünde. Stadt und Amt von 1719 bis 1990, Bielefeld 2019, S. 307.