Willy Spanier: Überlebender aus Theresienstadt

von Norbert Sahrhage


Willy Spanier
Willy Spanier

Willy Spanier wurde am 22. September 1889 in Bünde als Sohn des Kaufmanns Moritz Spanier geboren. Der aus Herford stammende Moritz Spanier hatte die Bünderin Emilie Weiß geheiratet, im Jahre 1877 in der oberen Eschstraße ein Grundstück erworben und darauf ein Haus erbaut, in welchem er ein Kolonial- und Manufakturwarengeschäft eröffnete, das mit einer Gaststätte verbunden war. Das Ehepaar hatte acht Kinder: Martha (*1878), Simon (*1880), Gustav (*1883), Max (*1885), Paula (*1886), Willy (*1889), Otto (*1893) und Minna (*1897). Nach dem Tode ihres Vaters im Januar 1914 übernahmen Willy und Otto Spanier das väterliche Geschäft. Beide Brüder wurden bald darauf als Soldaten eingezogen. Während Otto Spanier die Kriegszeit unbeschadet überstand, wurde Willy Spanier schwer verwundet; ihm musste ein Bein amputiert werden.

Zu den Kunden der Spaniers zählten vor allem Menschen aus der Arbeiterschaft, da man in dem Geschäft, wenn kurz vor Monatsende das Geld knapp war, auch „anschreiben“ lassen konnte. Nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten wurde das Spaniersche Geschäft immer wieder von den Nationalsozialisten boykottiert, Kunden wurden am Betreten des Geschäftes gehindert oder im »Stürmerkasten«, der an der Bolldammbrücke/Frühlingsweg aufgestellt worden war, diffamiert und angeprangert.

Willy Spanier versuchte sich nach Kräften gegen diese Übergriffe durch Mitglieder der NSDAP und SA zu wehren und beschwerte sich wiederholt bei der Kreisverwaltung, fand hier aber – auch aufgrund der antisemitischen Haltung des Bünder Bürgermeisters Dr. Dr. Rattay – kein Gehör.

Gastwirtschaft Spanier
Gastwirtschaft Spanier

Am Tag nach der Reichspogromnacht wurde das Haus Spanier von Parteimitgliedern in Brand gesetzt. Die bereits aus dem brennenden Haus geretteten Waren wurden auf Geheiß der Bünder SS als „Judendreck“ wieder zurück in das Feuer geworfen. Nach der Reichspogromnacht wurden Willy Spanier und andere Bünder Juden bis zu ihrer Deportation im Juli 1942 im Haus Levison kaserniert. Am 6. Dezember 1941, noch kurz vor der Deportation, hatte Willy Spanier die aus Schüttdorf stammende Erna Mildenberg, geschiedene Rosenberg, geheiratet, die eine Tochter, Lotte, mit in die Ehe brachte. Erna Spanier hatte zuvor als Hausgehilfin im Haushalt der Brüder Spanier gearbeitet.

Willy und Erna Spanier schafften es, die Zeit im KZ Theresienstadt trotz mangelhafter Ernährung und fehlender medizinischer Versorgung zu überleben. Lotte Rosenberg, die 14-jährige Tochter Erna Spaniers, war noch im Jahre 1941 mit einem Kindertransport über Portugal in die USA gelangt. Im Juli 1945 kehrte Willy Spanier gemeinsam mit seiner Frau Erna und Johanne Meyer aus dem KZ Theresienstadt nach Bünde zurück. Kurze Zeit später wurde Willy Spanier als Mitglied in den örtlichen Entnazifizierungsausschuss berufen. Im Dezember 1946 beklagte er sich – desillusioniert – in einem Brief über die Tätigkeit des Entnazifizierungsausschusses: „Aber die Feigheit der Bünder Bürger ist nun mal so, dass niemand als Zeuge auftritt. Es müssen aber Zeugen unter Eid aussagen, dass sie dabei waren, dass der Betreffende eine strafbare Handlung begangen hat. Da nun leider unsere Zeugen nicht zurückgekehrt sind, auf der anderen Seite hier niemand gegen seinen Mitbürger aussagt, kann ich nichts machen. Sie können sich überhaupt kein Bild machen, was sich in dieser Hinsicht hier tut, dazu die Gesetze – da schlüpft alles durch, was eben möglich ist.“

Willy Spanier starb am 10. Januar 1952 in Melle an den Spätfolgen seines Aufenthaltes im Konzentrationslager. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte eine Wiedergutmachung für die Zeit des Freiheitsentzuges und die erlittenen Vermögensschäden erst im Ansatz stattgefunden. Willy Spanier wurde auf dem jüdischen Teil des Feldmarkfriedhofes begraben. Erna Spanier starb am 5. Januar 1983 und wurde an der Seite ihres Mannes beerdigt. Werner Hüffmeier, der während der nationalsozialistischen Zeit selbst inhaftiert gewesen war, schrieb in einem Zeitungskommentar dazu: „Die letzte jüdische Mitbürgerin wurde vor ein paar Tagen zur letzten Ruhe beigesetzt. Ein nur kleiner Kreis von Angehörigen stand an der Grabstätte. Niemand von der Stadt und dem Kreis war zugegen. Für mich ist eine Ehrenbürgerin unserer Stadt von uns gegangen.“

Quellen/Literatur:

Norbert Sahrhage, Bünde. Stadt und Amt von 1719 bis 1990, Bielefeld 2019, S. 294-99 u. 386-93.