Dr. Dr. Gotthard Rattay: Bürgermeister in der NS-Zeit

von Norbert Sahrhage


Dr. Dr. Gotthard Rattay
Dr. Dr. Gotthard Rattay

Karl Horst Gotthard Rattay, am 13. Dezember 1902 in Kosten, einer Stadt in der früheren Provinz Posen, als Sohn eines Kreisrendanten geboren, hatte nach dem Erwerb des Reifezeugnisses von Mai 1921 bis Juli 1925 Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Breslau und Marburg studiert und war am 16. Dezember 1925 in Marburg zum Doktor der Staatswissenschaften promoviert worden. Seine Ausbildung als Kommunalbeamter hatte Rattay zwischen 1926 und 1929 bei den Stadtverwaltungen in Liegnitz und Neuruppin erhalten. Von Februar 1929 bis Oktober 1931 arbeitete Rattay als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter bei der Amts- und Gemeindeverwaltung Schreiberhau im Riesengebirge. Am 1. November 1931 wurde Rattay dort zum Syndikus und Dezernenten für das Wohlfahrtswesen ernannt. Wie Rattay in seinem Lebenslauf aufführte, sei er am 20. Juni 1932 wegen seiner nationalsozialistischen Einstellung „fristlos entlassen“ worden. „Natürlich konnte ich damals keine andere Stellung bekommen. Ich ging daher noch einmal zur Universität Marburg, um mich dort durch fachliche Studien fortzubilden.“ Diese Studien schloss Rattay am 14. März 1935 mit der Promotion zum Dr. jur. ab.

Zum 1. April 1933, sehr rasch nach der nationalsozialistischen „Machtergreifung“, war Rattay zum Bürgermeister der Stadt Lychen (Neubrandenburg) berufen worden. Dieses Amt übte Rattay bis zu seinem Dienstantritt bei der Stadt Bünde am 8. Oktober 1937 aus. Am 24. Juni 1937 hatte NSDAP-Kreisleiter Ernst Nolting in einer nichtöffentlichen Beratung den Mitgliedern des Bünder Stadtrates den Bürgermeister der Stadt Lychen, Dr. Dr. Gotthard Rattay, als Nachfolger von Dr. Richard Moes vorgeschlagen. Seinen Lebenslauf anlässlich der Bewerbung in Bünde hatte Rattay mit dem Hinweis abgeschlossen: „Der Bewegung gehöre ich seit dem Juli 1932 als Pg. offiziell an; aus dienstlichen Gründen war mir der Eintritt nicht eher möglich, jedoch habe ich schon lange vorher die Bestrebungen der NSDAP nach Kräften gefördert, wofür ich 1932 ja auch entlassen wurde. In der Partei bin ich heute noch aktiv tätig; als Kreishauptstellenleiter im Amt für Kommunalpolitik habe ich die Schulung sämtlicher Bürgermeister, Beigeordneten und Gemeinderäte des Kreises Templin durchzuführen und zu leiten.“

Mit Rattay hatten die Bünder Nationalsozialisten endlich den gewünschten parteitreuen Bürgermeister gefunden. Während seiner beiden Amtsjahre bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges vermochte Rattay bezüglich der Stadtentwicklung keine Akzente zu setzen. Er fiel allerdings durch seine antisemitische Haltung auf. Anlässlich der Zerstörungen während der Reichspogromnacht im November 1938, bei denen das Wohn- und Geschäftshaus der Familie Spanier angezündet worden war, erklärte er in einem Schreiben an den Mindener Regierungspräsidenten: „Als Behördenleiter im Dritten Reich halte ich es für unter meiner Würde, den Juden Spanier hinsichtlich der möglichst günstigen Verwertung seines Grundstückes zu beraten. ... Ich halte mich sogar auf der anderen Seite als Nationalsozialist für verpflichtet, den Juden allgemein, wo es gesetzlich immer möglich ist, Schaden zuzufügen."

Mit Beginn des Krieges wurde Rattay als Soldat eingezogen, nach kurzer Zeit jedoch auf Befehl des Reichsinnenministers in das eroberte polnische Gebiet nach Schwientochlowitz, Kreis Kattowitz, abgeordnet, wo er die Geschäfte des Bürgermeisters zu führen hatte. Erst Anfang des Jahres 1941, als die Stadt Bünde aufgrund der Einberufung der beiden ehrenamtlich tätigen Beigeordneten ohne Verwaltungsspitze dastand, wurde Rattays Abordnung nach Schwientochlowitz auf Betreiben Landrat Hartmanns aufgehoben und Rattay kehrte vorübergehend als Bürgermeister nach Bünde zurück. Von März 1942 bis kurz vor Kriegsende war Rattay dann als Personalreferent in der Hauptabteilung Innere Verwaltung bei der Regierung des Generalgouvernements tätig. In dieser Phase wurde das Amt des Bürgermeisters vom Ersten Beigeordneten Walter André versehen.

Ende Februar 1945 kehrte Rattay von Dresden aus nach Bünde zurück, wo er seine Amtsgeschäfte im März wieder aufnahm. Im April wurde Rattay dann vom alliierten Bünder Stadtkommandanten seines Amtes als Bürgermeister enthoben. Nachdem sich Rattay erfolglos darum bemüht hatte, in sein Amt zurückzukehren, verließ er Bünde und zog nach Laasphe um. Im Jahre 1949 wurde Rattay zum Verwaltungsleiter der niedersächsischen Stadt Gifhorn gewählt, wobei er offenbar seine NS-Vergangenheit verschwieg. Er übte das Amt bis zum Jahre 1967 aus. Anlässlich der 1100-Jahrfeier der Stadt Bünde im Juni 1953 wurde Rattay zum Festakt eingeladen; er durfte sogar eine Rede halten.

Als 2013 Rattays Bünder NS-Vergangenheit in Gifhorn bekannt wurde, hat es nur wenige Wochen gedauert, bis die Straße, die nach Rattays Tod nach dem früheren Verwaltungsleiter benannt worden war, einen neuen Namen erhielt. Aus der Galerie verdienter Männer der Stadt Gifhorn wurde Rattays Foto entfernt.

Quellen/Literatur:

Norbert Sahrhage, Bünde. Stadt und Amt von 1719 bis 1990, Bielefeld 2019, S. 275f.