Dr. Karl Paetow: Museumsleiter und Märchensammler

von Norbert Sahrhage


Museumsleiter Paetow testet eine Wasserpfeife. (Museum Bünde)
Museumsleiter Paetow testet eine Wasserpfeife. (Museum Bünde)

Der langjährige Leiter des Bünder Kreisheimat- und Tabakmuseums, Dr. Karl Paetow, wurde am 19. März 1903 in Fürstenwalde an der Spree geboren. Sein Abitur legte er an der Oberrealschule I in Kassel ab. Im Jahre 1921 nahm er das Studium der Kunstgeschichte, Germanistik und Volkskunde in Göttingen, Frankfurt/M., München, Köln, Bonn und Berlin auf. Er schloss seine Studien 1928 in Leipzig mit der Doktorarbeit Klassizismus und Romantik auf Wilhelmshöhe ab, in der Paetow sich mit der Baugeschichte der Anlagen auf der Kasseler Wilhelmshöhe beschäftigte. Von der Romantik beeinflusst, hatte Paetow in seiner Jugend dem Wandervogel angehört, einer bürgerlichen Jugendbewegung, die das Wandern propagierte, um das Naturerleben die Rückbesinnung auf seine ursprüngliche Volkskultur zu erreichen.

Nach Lehrjahren am Hessischen Landesmuseum war Karl Paetow vorübergehend am Museum am Augustplatz in Leipzig tätig, bevor er im Jahre 1930 in Stolp (Ostpreußen) die Leitung des dortigen Museums übernahm. In Stolp lernte Paetow auch Charlotte Pasche kennen, die er im November 1934 heiratete. Seine Tätigkeit in Stolp war im März 1933 beendet, da die Museumsleiterstelle aus Kostengründen eingespart wurde. Paetow kehrte daraufhin wieder nach Kassel zurück.

Am 1. Mai 1933 trat Karl Paetow der NSDAP bei. Aus seinem Briefwechsel mit dem von ihm verehrten Hans Grimm, dem Verfasser des Buches „Volk ohne Raum“ und einem der Lieblingsautoren Hitlers, wird deutlich, dass Paetow – zumindest in den 1930er- und 1940er-Jahren – völkischem und antisemitischem Gedankengut anhing. In einem im August 1939 an Hans Grimm gerichteten Brief beschrieb Paetow die „Arier“ als „Hauptspross“ und „Herzkeim“ in der Entwicklung der menschlichen Rassen, andere Rassen seien bloße „Seitentriebe“ geringerer biologischer Qualität. Aufgabe des „Ariers“ sei es, „in ständiger Selbstüberhöhung die anderen Wesen und Gattungen aus sich heraus[zu]scheide[n]“, um sich dadurch fortzuentwickeln. Auf der Strecke bleibe dabei nur, was „vermanscht“ und „entedelt“ sei.

In Kassel übte Paetow im Jahre 1934 zeitweise das Amt des Gauvolkstumswarts bei der NS-Organisation Kraft durch Freude aus. Er übernahm weitere Ämter in der NSDAP; so leitete er im Jahre 1935 zeitweise die Unterabteilung „Volkstum und Heimat“ im Kreisstab der NSDAP sowie etwas später das NSDAP-Kreisarchiv. Am 1. April 1935 wurde Paetow in Kassel Leiter der Stadtforschungsstelle. Im Jahre 1938 blickte Paetow auf seine Tätigkeit zurück: Die Stelle sei „von vornherein auf eine nationalsozialistische Zielrichtung eingestellt“ gewesen. „Blut- und Sacherbe des heimatlichen Raumes sollten gehoben, den Menschen zum Bewusstsein und für die Gegenwart fruchtbar gemacht werden. Denn nur was dem Leben dient hat ein Recht auf Leben.“

 

Seinen Kriegsdienst leistete Paetow in Russland ab, wo er im Juli 1941 bei Smolensk schwer verwundet wurde. Nach seiner Genesung wurde Paetow – aufgrund eigenen Bemühens – nach Paris versetzt, wo er für den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), einer Rauborganisation der NSDAP, tätig wurde und mitwirkte, Kunstgegenstände aus jüdischem Eigentum und französischen Sammlungen für das Deutsche Reich zu rauben. Später wurde er in Rosenbergs Amt für Volkskunde versetzt. Rose Valland, eine französische Kunsthistorikerin und Widerstandskämpferin, beschrieb Paetow als „gefährliche Person und typischen Nazi“, der die Aufgabe gehabt habe, jüdische Haushalte in Paris zu inventarisieren und Kunstgegenstände zu beschlagnahmen.

 

In Briefen aus Paris an seine Frau äußerte sich Karl Paetow voller Begeisterung über seine neue Tätigkeit: „Wir sind in großen eiligen Aufgaben, arbeiten für Göring und s.w. Uns gehen schwindelhafte Werte durch die Hände. Man kann viel lernen.“ Auch über den Besuch des Reichsmarschalls Hermann Göring im Museum Jeu de Paume berichtete Paetow seiner Frau: „Erstarre in Ehrfurcht! Die Hand, die Du so oft in der Deinen gehalten hast, sie hat in der fleischigen grossen Faust Görings gelegen, ist von ihr gedrückt worden.“

Seine antisemitische Grundhaltung legte Paetow auch in Paris nicht ab. Noch am 28. Januar 1943 – die deutsche Kapitulation in Stalingrad stand kurz bevor – schrieb Paetow seiner Frau: „Gott wird und kann uns nicht fallen lassen, er würde sich selbst widersprechen. Und wenn er ein Wunder sendet – es muss geschehen, dass Adolf Hitler die Welt neu aufbaut mit seinen arischen Völkern. Und das Judentum, welches alles dies auf dem Gewissen hat, zerschmettert wird.“

 

Nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft wurde Paetow, der im Jahre 1948 als „Mitläufer“ entnazifiziert wurde, von der Stadt Kassel entlassen; er war danach längere Zeit arbeitslos.

Am 9. November 1951 wurde Paetow hauptamtlicher Leiter des Kreisheimat- und Tabakmuseums in Bünde. Kontakte nach Bünde bestanden über Friedrich Langewiesche, den Paetow während des Krieges kennengelernt hatte und der sich nun für Paetow einsetzte. Paetow wohnte mit seiner Familie viele Jahre lang im Striedieckschen Hof.

 

Anlässlich der Elfhundertjahrfeier der Stadt Bünde im Jahre 1953 übernahm Paetow die Organisation der Veranstaltungen und gab das Buch Bünde im Widukindsland heraus, in dem er selbst einen fünfseitigen Beitrag über seinen Vorgänger Friedrich Langewiesche beisteuerte.

 

Seit 1953 war Karl Paetow Mitglied der neugegründeten Autorenvereinigung »Die Kogge«, der auch weitere Schriftsteller (Agnes Miegel, Manfred Hausmann, Ina Seidel, Hans Friedrich Blunck etc.) angehörten, die aus der Zeit des „Dritten Reiches“ keineswegs unbelastet hervorgegangen waren. Paetow sammelte Sagen und Märchen aus dem Weserraum und veröffentlichte mehrere Bücher zu diesem Thema. Im Jahre 1967 erhielt er den Sonderpreis der »Kogge« für seine Sagen- und Märchenbücher.

 

In den 1960er und 1970er Jahren trat Paetow als Vortragender u.a. beim »Freundeskreis Walter Jantzen«, in der »Wilhelm Kotzde-Kottenrodt-Gemeinde« und im »Arbeitskreis für deutsche Dichtung« in Erscheinung, in denen sich Personen mit unbewältigter und unreflektierter nationalsozialistischer Vergangenheit zu Literaturgesprächen trafen. Auch zu dem Ehepaar Werner und Ursula Haverbeck (Holocaustleugnerin) bestanden freundschaftliche Kontakte.

 

Am 31. März 1968 trat Karl Paetow als Bünder Museumsleiter in den Ruhestand; sein Nachfolger wurde Dr. Eberhard Pannkoke. Nach seiner Pensionierung betätigte sich Paetow als Stifter und Gründer des Märchen- und Wesersagenmuseums in Bad Oeynhausen, dem er noch einige Jahre vorstand.

Sowohl in Bünde als auch in Bad Oeynhausen trat Karl Paetow als überaus engagierter und fleißiger Museumsleiter in Erscheinung. Durch permanente Pressearbeit sorgte er dafür, dass die von ihm betreuten Museen im öffentlichen Bewusstsein blieben und dass sich die Besucherzahlen positiv entwickelten.

 

In Bad Oeynhausen veranstaltete Paetow z.B. Märchentage und eine Kinderkulturwoche, die überregionale Beachtung fanden. Auch Fernsehteams waren häufiger Gast im Bad Oeynhausener Museum. Menschen, die Paetows Art der Präsentation kritisierten, trat er allerdings durchaus konfliktbereit entgegen. Er reagierte auch sehr empfindlich, wenn jemand an seinen zahlreichen Publikationen etwas auszusetzen hatte.

 

Dr. Karl Paetow, dem im Jahre 1980 auf Vorschlag des Förderkreises des Deutschen Märchen- und Wesersagenmuseums im Mindener Kreishaus das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen worden war, starb am 23. Oktober 1992 in Bad Oeynhausen. Er wurde in Bünde auf dem Stadt- und Amtsfriedhof am Nordring beigesetzt.

Quellen/Literatur:

Stadtarchiv Bad Oeynhausen, Bestand NL 8 (Nachlass Paetow)
Norbert Sahrhage, Bünde. Stadt und Amt von 1719 bis 1990, Bielefeld 2019, S. 469.
Thomas Vordermayer, Bildungsbürgertum und völkische Ideologie, Berlin 2016, S. 311ff.