Waldemar John: Rektor in Spenge

von Norbert Sahrhage


Waldemar John
Waldemar John

Am 1. November 1910 trat der am 18. November 1880 in Preußisch Ströhen (Kreis Lübbecke) als Sohn eines Kantors geborene Friedrich Heinrich Waldemar John seinen Dienst als Rektor der Volksschule in Spenge an und bestimmte damit für etwa 40 Jahre nicht nur das Spenger Schulgeschehen, sondern beeinflusste auch das kulturelle Leben und die politische Entwicklung in der Gemeinde. Johns gesellschaftlichen Aktivitäten erstreckten sich von seiner Tätigkeit als Organist und dem Amt als Presbyter über die Gründung und Mitgliedschaft in verschiedenen Vereinen bis hin zur Publikation zahlreicher heimatkundlicher, pädagogischer und belletristischer Beiträge.

Seine politische Sozialisation hatte Waldemar John im Kaiserreich erfahren und dabei auch die gesellschaftlichen Werte und Normen des kaiserlichen Deutschlands internalisiert. Die deutsche Niederlage im November 1918 und das Ende der Hohenzollernmonarchie trafen ihn schwer. Aus der Verknüpfung der deutschen Niederlage mit der Gründung der Weimarer Republik resultierte Johns Distanz zu der neuen Staatsform. Er blieb sein Leben lang der Monarchie verbunden, wirklicher Republikaner ist John nie geworden. Johns Charisma, das er in Spenge als politisches Sprachrohr einer konservativen Politik besaß, resultierte zum einen aus seinem Ansehen als Rektor und zum anderen aus seinem langen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg, der von der Mobilmachung im Jahre 1914 bis zu seiner letzten Verwundung im Oktober 1918 dauerte, sowie dem im Krieg erworbenen Rang als Bataillonsführer. An beiden Fronten im Westen und Osten eingesetzt und als Teilnehmer der Schlachten von Verdun und Flandern war John mit dem Eisernen Kreuz der 1. und 2. Klasse sowie mit dem Ritterorden vom Hohenzollerschen Hausorden ausgezeichnet worden. Er besaß damit in Spenge sowohl den höchsten militärischen Rang als auch die höchsten Kriegsauszeichnungen.

Bereits im Jahre 1908 war John dem »Kyffhäuserbund« beigetreten und leitete während seiner Amtszeit als Rektor in Spenge viele Jahre den »Kampfgenossen- und Kriegerverein«, den Zusammenschluss ehemaliger Soldaten und Kriegsteilnehmer. Bei öffentlichen Feiern, Umzügen etc. in der Zeit der Weimarer Republik und des "Dritten Reiches" trat John in seiner kaiserlichen Militäruniform auf. In den 1920er Jahren gehörte John dem »Jungdeutschen Orden« an. John war zudem Begründer und langjähriger Leiter des Spenger »Heimatvereins«. Neben seiner Tätigkeit als Rektor an der Spenger Volksschule hatte John im Jahre 1928 ein Buch mit dem Titel So kam der Krieg! Eine wahrheitsgemäße Darstellung der Ursachen des Weltkrieges verfasst, in dem er gegen die im Artikel 231 des Versailler Friedensvertrages fixierte Alleinschuld Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkriegs Stellung bezog und versuchte, „Deutschlands Unschuld am Kriege“ (S. 48) zu beweisen. Johns Bemühen, für Deutschlands „angegriffene Ehre einzutreten“ (S. 5), wie er es in der Einleitung seines Buches formulierte, und den „englische(n) Imperialismus, französische(n) Revanchegeist und russische(n) Panslawismus“ (S. 43) für den Ausbruch des 1. Weltkrieges verantwortlich zu machen, ging über die Weimarer Revisionspolitik hinaus und idealisierte die politischen Verhältnisse im Deutschen Kaiserreich in ungerechtfertigter Weise.

Im Jahre 1930 schloss sich John dem »Stahlhelm« an, einem der einflussreichsten politischen Verbände in der Weimarer Republik, der sich nominell überparteilich gab, tatsächlich jedoch in enger Verbindung zur antidemokratischen DNVP stand und seit 1929 die Weimarer Republik offen bekämpfte. Gemeinsam mit der NSDAP trat der »Stahlhelm« im Jahre 1931 für einen Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtages ein. Im Oktober 1931 fanden sich u.a. NSDAP, DNVP und »Stahlhelm«  in der Harzburger Front zusammen. Nach der sog. "Machtübernahme" durch die NSDAP am 30.1.1933 blieb das Verhältnis zwischen den neuen Machthabern und dem »Stahlhelm« nur für kurze Zeit harmonisch. Die Eigenständigkeit des »Stahlhelm« wurde immer mehr eingeschränkt. Ziel der Nationalsozialisten war es, den »Stahlhelm« in die SA zu integrieren. Im Zuge der "Gleichschaltung" musste sich der »Stahlhelm« im März 1934 in »Nationalsozialistischer Deutscher Frontkämpferbund (Stahlhelm)« umbenennen.

Obgleich der Stabschef der SA, Ernst Röhm, am 4.7.1933 Neuaufnahmen in den Stahlhelm und Neugründungen von Ortsgruppen verboten hatte, konstituierte sich auf Initiative Waldemar Johns im Oktober 1933 »Stahlhelm«-Ortsgruppe im Amt Spenge. Dieses Ereignis veranlasste den Spenger Amtsbürgermeister Frentrup der Bielefelder Staatspolizeistelle am 29. Juni 1934 zu berichten: „Da ... die jetzige Ortsgruppe des Nationalsozialistischen Frontkämpferbundes erst in den letzten Monaten gegründet und aufgebaut ist, kann sie meiner Ansicht nach nicht bestehen bleiben und wird ... aufzulösen sein.“

Soweit kam es dann jedoch nicht. Das Verhältnis zwischen der NSDAP-Ortsgruppe und der »Stahlhelm«-Organisation war jedoch von Anfang an gespannt, da die örtliche NSDAP die Notwendigkeit einer Stahlhelmgründung nicht einsehen konnte und die Stahlhelmer misstrauisch beobachtete. Amtsbürgermeister Frentrup charakterisierte die Situation in dem bereits angesprochenen Brief an die Staatspolizeistelle in Bielefeld wie folgt: „Zwischen der Ortsgruppenleitung der NSDAP, der SA-Führung und der Führung des Nationalsozialistischen Frontkämpferbundes (Stahlhelm) besteht hier ein besonders gespanntes Verhältnis. Diese Zustände wirken störend auf die Nationalsozialistische Aufbauarbeit und fördern auch nicht den Gedanken der Volksgemeinschaft.“

 

Waldemar John wurde – wohl zu Recht – von der Spenger Ortsgruppen- und der Herforder Kreisleitung der NSDAP als Haupt der konservativen Opposition im Amt Spenge angesehen. So vermutete Kreisleiter Eduard Aßler hinter dem Schreiber eines Beschwerdebriefes an den Herforder Landrat Hartmann, in dem die Amtsführung von Bürgermeister Frentrup kritisiert wurde, sofort „Stahlhelmgenossen und Obergenossen – letzteren erblicke ich in dem Rektor John ... .“ Aßler führte den Beschwerdebrief darauf zurück, dass „eine gewisse Gruppe von Menschen“ in Spenge offenbar nicht begreifen könne oder wolle, „daß ihr reaktionärer Geist abgewirtschaftet hat.“  Da sich die »Stahlhelm«-Ortsgruppe Spenge beharrlich weigerte, der neu aufgestellten SA-Reserve I beizutreten, durch die – entsprechend der Konzeption Röhms – die 36-45jährigen Stahlhelmer in die SA integriert werden sollten, wurde die Ablösung Johns als örtlicher »Stahlhelm«führer im Jahre 1935 dadurch erzwungen, dass ihm als Lehrer auf Veranlassung der Gauleitung der NSDAP durch den Regierungspräsidenten in Minden die berufliche Versetzung angedroht wurde.

Die Ursachen für den fortwährenden Dissens zwischen der Spenger »Stahlhelm«-Ortsgruppe und der NSDAP lagen hauptsächlich darin begründet, dass sich die ehemaligen Frontkämpfer den durchweg jüngeren Nationalsozialisten nicht unterordnen wollten, da diese zum größten Teil ohne Fronterfahrung waren und somit ihre „Liebe zum Vaterland“ noch nicht hinreichend bewiesen hatten. Die Mehrzahl der Nationalsozialisten wurde von den Stahlhelmern, die sich in Spenge aus dem Rittergutsbesitzer, vielen größeren Bauern, der Mehrzahl der Lehrer, Ärzte und Kaufleute zusammensetzten, auch sozial nicht als ebenbürtig anerkannt. In der Folgezeit musste sich John erzwungenermaßen etwas zurückziehen. Er behielt den Nationalsozialisten gegenüber mindestens ebenso viel Distanz wie zuvor den republikanischen Parteien. Gleichwohl war er bei aller persönlicher Integrität – das zeigt die zurückschauende Analyse – an gesellschaftlichen Werten orientiert und in politischen Verbänden organisiert, die der nationalsozialistischen Diktatur anfangs den Weg geebnet hatten.

Bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1946 blieb John Rektor der Spenger Volksschule. Nach Kriegsende setzte er sich in einem als Heimatbuch geplanten Manuskript mit dem Titel Unter dem Diktator rückblickend mit der Zeit des "Dritten Reiches" auseinander. Dieses gelang ihm jedoch wenig überzeugend, da er in einer Art Bilanz den negativen Seiten des nationalsozialistischen Regimes gegenüberstellte, „was von den Zielen der Bewegung wohl gefallen konnte“. Hierbei erlag John der Versuchung, u.a. die zurückgehende Arbeitslosigkeit, die Verbannung der sog. „entarteten Kunst“ aus den Museen, die „fruchtbare Tätigkeit des NSV“ sowie die nationalsozialistische Außenpolitik bis zur Annexion des Sudentenlandes durchaus als positiv zu bewerten, während er etwa das Vorgehen gegen Systemgegner, die Verfolgung und Vernichtung der Juden und die deutsche Außenpolitik ab 1939 auf der Negativseite seiner Bilanz aufführte.

John verkannte in seiner z.T. wohl auch als Rechtfertigung geschriebenen Rückschau völlig, dass beide Seiten seiner Bilanz untrennbar miteinander verbunden waren, und dass die von ihm vorgenommene Bilanzierung überaus gefährlich ist, verführt sie doch dazu, den Nationalsozialismus als eine partielle Entgleisung zu verharmlosen und nicht etwa als umfassendes terroristisches Unrechtssystem zu erkennen. Durch seine heimatkundlichen Publikationen war Waldemar John, als er am 23. Oktober 1953 im Alter von 72 Jahren starb, über Spenge hinaus bekannt geworden. Der Tod traf ihn überraschend, als er gerade im Begriff war, sich auf einen Ausflug des »Heimatvereins« vorzubereiten.

Quellen/Literatur:

Norbert Sahrhage, Stahlhelm versus NSDAP im Amt Spenge. Anmerkungen zur Frage einer konservativen Opposition in der Zeit des "Dritten Reichs", in: RB H. 1, 1990, S. 8-21.

Herforder Kreisblatt, 107. Jg., Nr. 250 v. 27.10.1953. Waldemar John, So kam der Krieg! Eine wahrheitsgemäße Darstellung der Ursachen des Weltkrieges, Berlin 1928.