Gerda Bussiek, Begründerin der Bekleidungsindustrie in Bünde

von Norbert Sahrhage


Gerda Bussiek (li.) im Gespräch mit einer Mitarbeiterin
Gerda Bussiek (li.) im Gespräch mit einer Mitarbeiterin

Gerda Bussiek wurde am 15. Oktober 1912 als Tochter von Hermann Sehlmeyer in Bünde geboren. Nach dem Schulbesuch absolvierte sie eine Bürolehre. 1931, mit knapp 19 Jahren, ließ sie sich für volljährig erklären und eröffnete in Melle ein Handarbeits-geschäft. Im September 1932 heiratete sie den kaufm. Angestellten Wilhelm Bussiek. Schon kurz nach der Hochzeit erweiterte das Ehepaar das Einzelhandelsgeschäft zu einem Produktionsbetrieb, in dem Kissen, Decken und Schürzen gefertigt wurden. Wilhelm Bussiek war für die kaufmännischen Arbeiten einschließlich Verkauf, Gerda Bussiek für Entwurf und Produktion zuständig. 1936 verlegten die Eheleute den Betrieb nach Bünde.

 

Gerda Bussiek hatte zuvor einen Lehrgang der Bekleidungsfachschule in Mönchengladbach für Entwurf und Schnitttechnik besucht. In Bünde wurde die Produktpalette um Berufs- und Kinderbekleidung ergänzt. Damit hatte das Ehepaar Bussiek den ersten Bekleidungsbetrieb in Bünde gegründet. Es fehlten zwar ausgebildete Arbeitskräfte, aber für viele Frauen bot der Beruf Näherin eine neue Möglichkeit statt der Tätigkeit als Zigarrenmacherin. Zufälligerweise zog die junge Familie Bussiek in das Wellensiek‘sche Haus in der Eschstraße, das der Begründer der Bünder Zigarrenindustrie, Tönnies Wellensiek, einst erworben hatte.

Ende der 1930er Jahre wurde der Firmenname Rotring GmbH für den Bereich der Bekleidungsproduktion eingeführt; die Produktion von Tapisseriewaren musste im Jahre 1942 eingestellt werden, um Ressourcen für kriegswichtige Materialien vorzuhalten. Während des Krieges durfte dann nur noch Damen- und Kinderbekleidung hergestellt werden. Als Wilhelm Bussiek eingezogen wurde, musste Gerda Bussiek das Unternehmen allein durchbringen. Gegen Ende des Krieges erhielt das Unternehmen den Auftrag Drillichröcke (d.h. Uniformen) zu nähen. Zuletzt blieben nur noch kuriose Wehrmachtsaufträge, u.a. das Flicken von zerrissenen Unterhosen. Nur so gab es im letzten Kriegswinter Arbeit und – damit verbunden – auch Kohlelieferungen.

Nach dem Einmarsch der Alliierten wurde Bünde Sitz der britischen Control Commission for Germany; Teile der Stadt mussten deshalb geräumt werden, auch das Bussiek’sche Fabrikgebäude. Gerda Bussiek konnte erreichen, dass der Räumungsbefehl rückgängig gemacht wurde und der Betrieb nun Shorts für die britische Armee aus beschlagnahmten Stoffen produzieren durfte. Erst 1946 lief die zivile Bekleidungs-produktion jedweder Art wieder an. Wilhelm Bussiek war inzwischen aus dem Krieg zurückgekehrt. Die Beschaffung von Rohstoffen war eine immense Herausforderung. Gleichwohl konnte in dieser turbulenten Zeit der erste Bauabschnitt eines eigenen Fabrikgebäudes an der Bachstraße realisiert werden, bei dem Gerda Bussiek zusammen mit ihren Näherinnen die wertvollen Ziegelsteine per Hand vom LKW ablud.

Nach der Währungsreform begann die Spezialisierung auf modische Mädchenkostüme und -mäntel in gehobener Qualität. Auf Gerda Bussiek lastete die Verantwortung für den Erfolg: Entwurf, Produktion, Versand – alles war in ihrer Hand. Bald zählte das baulich mehrfach erweiterte Unternehmen zu den Großen seiner Art in Deutschland mit einer Tagesproduktion von ca. 700 Mäntel/Kostümen. Die Zahl der Mitarbeiter(innen) stieg auf über 400. Europaweit wurde exportiert, selbst Kinderspezialgeschäfte in Frankreich gehörten zum Kundenstamm. Eine Lehrwerkstatt mit über 20 Lehrlingen garantierte einen guten beruflichen Nachwuchs – eine neue Ausbildungsmöglichkeit in Bünde. Da die Zigarrenindustrie nicht mehr, sondern weniger weibliche Arbeitskräfte einstellte, wurde die Bekleidungsindustrie in den Nachkriegsjahren zur willkommenen Alternative; in Bünde entstanden immer mehr Bekleidungsbetriebe. 1961 trat der Sohn Dr. Jürgen Bussiek in den Betrieb ein, zusammen mit seiner Frau, die die Aufgaben von Gerda Bussiek schrittweise übernahm, Gerda Bussiek zog sich langsam zurück. Sie starb plötzlich im Dezember 1972 im Alter von nur 60 Jahren.

Seit Ende der 1960er Jahre wurde die Produktion in Deutschland zu teuer, eine Verlagerung ins Ausland wurde fast unvermeidlich, was eine finanzielle und organisatorische Riesenaufgabe für mittelständische Unternehmen darstellte. In dieser Zeit kam unerwartet ein Angebot von der Firma Ahlers (Herford), den Betrieb zu übernehmen, da das Bussiek‘sche Unternehmen eine gute Ergänzung für den eigenen Konzern darstellte. Wilhelm Bussiek überzeugte seinen Sohn, dass das angesichts der neuen Anforderungen eine große Chance wäre, das Unternehmen zu erhalten, auch wenn er selbst einen neuen Lebensweg gehen müsse. Das Unternehmen wurde dann im Jahre 1974 mit allen Mitarbeitern von der Firma Ahlers übernommen.